: Nicole Schlegel Malerei

Ausstellung im Museum Abtei Liesborn von 15. September - 3. November 2013

 

Nicole Schlegel zeigt in ihrer zweiten umfangreichen Ausstellung eine jüngst entstandene Werkgruppe von großformatigen Bildern. Sie verbindet Zeichnung und Malerei auf eine in ihrer künstlerischen Entwicklung neuartigen Weise. Gegenständlichkeit tritt zurück, aber nicht nur die vielschichtig angelegte und vielstimmig instrumentierte Farbräumlichkeit vermittelt eine Atmosphäre von Ungelöstheit, Spannung, Widerstreit, Gefühlsambivalenz. Ein zentrales kompositorisches Element ist die Kurve. In ihrer zeichnerischen Anlage mit nervösen Ausschlägen erinnert diese an ein dramatisch unregelmäßiges Elektrokardiogramm – so lassen sich diese Bilder, entstanden in der produktiven Auseinandersetzung mit herausfordernden Lebenssituationen, als eine „Herzschrift“ unseres Zeitalters lesen. 

 

Ein Katalog mit Bildern der Arbeiten von Nicole Schlegel ist zum Preis von 4 Euro erhältlich.

 

Rede zur Vernissage von Herrn Dr. Manfred Strecker

"Meine Damen und Herren,

das sind Vorzüge, die ein weitläufiges Museum wie das Museum Abtei Liesborn bietet: Man geht 20, 30 Meter zu Fuß durchs Haus hierher, über Flure, durch Treppenhäuser, durch Passagen, wie wir es gerade getan haben: und schon findet man sich in einer Welt andersartiger Kunst wieder – in der von Nicole Schlegel.

Diese Andersartigkeit ergibt sich natürlich sofort aus einem Wechsel der Kunstgattungen, die uns begegnen – dort war es Skulptur, wenn auch mit bildnerischen Anspielungen, wie ich Ihnen nahezubringen versucht habe, hier dagegen geraten wir in eine Sammlung von Bildern. Und diese Bilder von Nicole Schlegel evozieren eine andere Art von Zeitlichkeit, das heißt, eine andere Art des Verhaltens des Betrachters vor diesen Werken.

Die Kunst von Werner Schlegel vermittelt eine meditative Einladung zum Schauen, eine Einladung, ästhetische Erlebnisse am Spiel von Formen, Oberflächen und Färbungen zu machen. Die Plastiken vermitteln uns Impulse, die Augen hin- und herzuwenden und sie weiterzuführen, den Kopf dabei unterstützend zu drehen, und uns überhaupt um die Plastiken gehend herumzubewegen. Wir sind aufgefordert, uns buchstäblich im äußeren Raum auf den Weg zu machen.

Die Werke von Nicole Schlegel dagegen führen uns in der paradoxen Leistung, die die Malerei vollbringt, im Augenblick des Bildes in ein zeitliches Geschehen ein. Was wir aber in einem Blick zu haben vermeinen – darin liegt die Paradoxie der Malerei, die von Nicole Schlegel pointiert wird –, was wir in einem Blick zu haben glauben, müssen wir uns dennoch blickweise erschließen. Wir sind also aufgefordert, uns Blick für Blick im inneren Raum dieser Bilder auf den Weg zu machen, uns einzufühlen.

Die Suggestion einer solchen Einladung wird durch eine kaum als solche auffallende künstlerische Entscheidung unterstrichen und verstärkt. Nicole Schlegel rahmt die Bilder, die sie hier zeigt, nicht. Ein Rahmen würde unseren Raum, in dem wir uns als Betrachter bewegen, vom Raum, den die Bilder aufspannen, und dem Geschehen, das sie inszenieren, separieren; ein Rahmen würde uns in eine Distanz zur Innenwelt dieser Bilder setzen.

Wie kommen wir nun dem Geheimnis der Bilder von Nicole Schlegel näher auf die Spur?

Erstens: Die Bilder verstärken sich gegenseitig. Denn Nicole Schlegel arbeitet ihre künstlerischen Ideen in Werkgruppen aus. Vielleicht mag man in früheren Zeiten gefordert haben: EINE künstlerische Ideen kann notwendig nur in EINEM Bild den angemessenen, eben einen singulären Ausdruck finden. Heute verstehen wir unter einer künstlerischen Idee eher die Konzeption eines Systems von visuellen Ausdrucksmitteln, die es erlauben, ein Thema in vielen Sichten abzuhandeln und abzuwandeln. Alle diese Bilder Nicole Schlegels zeigen Familienverwandtschaften. Und zugleich erkennt man, dass sich in diesem Feld Untergruppen ausprägen, sich sozusagen, um im Bild der Familie zu bleiben, Familienzweige mit einem gewissen Eigensinn herausbilden. Man sieht das hier in dieser Ausstellung zum Beispiel in dem Gegensatz zu den überwiegend blau-grau tonigen an den schwarz getönten Bildern, in denen glühende, in transparentem Rot gefasste Gegenstands- oder Symbolformen erscheinen.       

Überhaupt die Gegenständlichkeit: Wer frühere Bilderreihen von Nicole Schlegel gesehen hat, zum Beispiel in Schloß Neuhaus, der dürfte von dieser jüngsten Werkgruppe überrascht sein. Hier treten die bildnerischen Mittel der Zeichnung, der Figuration, der Gegenstandsbeschreibung weitgehend zurück, obwohl Nicole Schlegel auf solche zeichnerischen Elemente nicht völlig verzichtet. Aber auch die gerade von mir erwähnten Symbolformen treten nicht durch Umrisslinien, also zeichnerisch umschrieben, sondern in der Farbform hervor. Allein die gezackten Kurven, die uns bald noch beschäftigen werden, haben etwas vom Charakter von Lineaturen. Aber auch da, in dem leuchtenden Grün der Kurve etwa, erscheinen sie eher als Farbform, denn als eine scharf gezogene, körperlose Linie.

Was an dieser neuen Werkgruppe Nicole Schlegels also auffällt: Die Bilder haben einen tragenden malerischen Duktus. Durch Schichtung, Verwolkung, Deckung und Öffnung entstehen optische Farbräumlichkeiten, ohne dass hier geordnete Räume entstünden, in denen wir uns sicher wie im Alltag nach links und rechts, nach oben und unten, nach vorne und hinten orientieren könnten. Und deshalb wäre es auch irreführend, wenn man vor diesen Bildern von einem Bildgrund sprechen würde – wie etwa beim Zeichenbogen aus Papier, der eine meist neutrale Folie bildet, vor der sich die Lineaturen und Formen und vor der sich die zeichnerischen Tatsachen abhöben. 

Ein nicht zu übersehendes zentrales, vielfach abgewandeltes Kompositionselement, das sich auf all diesen Bildern von Nicole Schlegel findet, ist die Kurve, das heißt in diesem Fall: eine gezackte Linie, die die erwähnte Familienverwandtschaft in der Werkgruppe anschaulich werden lässt. Zuweilen sehen wir nicht eine Kurve allein, sondern mehrere der Kurven – sozusagen konzertierend – ins Bild gesetzt. In manchen der Bilder ist auch ein sich in sich kreisförmig schließender Bogen andeutungsweise zu erkennen. Und aus dieser Gegenüberstellung von Kreisform und fortlaufender Lineatur vermitteln sich anschaulich unterschiedliche Zeitformen, die den Gehalt der Bilder von Nicole Schlegel prägen.

Der Kreis steht für Zyklus und Wiederkehr, die Lineatur für den Fortlauf des Erlebens von Augenblick zu Augenblick. Und in diesen unterschiedlichen Zeitformen spiegelt sich die Paradoxie unseres, des Lebens überhaupt. Denn wenn wir auch von zyklischer Natur sind, den Kreis, die Kreise des Lebens müssen wir Abschnitt für Abschnitt durchleben, wie wenn wir uns in einer Richtung bewegten, während wir den Zyklus, den wir dabei, ohne es richtig zu ahnen, beschreiten, erst erkennen, wenn sich der Kreis geschlossen hat.

Die Kurve, so wie sie Nicole Schlegel ins Bild setzt, ist nach ihrem Gestaltcharakter ein zeichnerisches Element, sie erinnert an die Bewegung des Schreibens per Hand. Diese Handschrift interessiert hier aber, wie sonst vielfach in der Kunst, nicht als expressive Gestik, nicht nach ihrem wie auch immer zu deutenden Ausdrucksgehalt. In solcherart Lineatur vielmehr, in deren Ausschlägen und Mustern, wird der Rhythmus – sagen wir es mit einem traditionellen Ausdruck: in solchen Abfolgen wird der Rhythmus der Seele in den Rhythmen der körperlichen Bewegtheit sichtbar. Innen- und Außenwelt spiegeln sich ineinander.

Natürlich wären das alles Themen, die weitere Erläuterungen zuließen, Themen, sprachlich-begriffliche Verfeinerungen erforderten. Aber wir, Sie, meine Damen und Herren, haben ja die Bilder von Nicole Schlegel. Diese Bilder bieten, um es zum Abschluss in eine verallgemeinernde Metapher zu fassen, eine Metapher, die Zeitlichkeit, leiblichen Rhythmus und inneres Erleben in einer Sprachformel verdichtet, eine „Herzschrift des Lebens“.

Und mit diesem Wort möchte ich Ihnen, meinen Damen und Herren, die Bilder jetzt überlassen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."

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